Nimm dir für diese Übung ca. 10 Minuten Zeit und suche dir einen Ort, an dem du möglichst ungestört bist
Stell dir vor, du sollst ein Lied singen. Es ist ganz wichtig, dass du richtig singst. Deine Performance wird online gestreamt und aufgenommen, jede falsche Note wird für immer festgehalten, jede rhythmische Ungenauigkeit bemerkt. Deine Zuhörer und Zuhörerinnen kennen das Lied und freuen sich auf eine gute Life-Performance.
Stell dir diese Szene vor deinem inneren Auge vor, fühle dich ganz hinein in diese Situation. Und wenn du ganz in der Situation angekommen bist, versuche dein Lied zu singen.
Und, wie war deine Performance? Locker, freudig, voller Musikalität? Herzlichen Glückwunsch, dann kannst du getrost direkt auf die Bühne. Wenn es dir hingegen geht wir mir, wenn ich mich in diese Szene einfühle, dann hast du keinen Ton hervorgebracht, schnell und flach geatmet und warst völlig blockiert.
Jetzt stell dir vor, du bist an einem Ort, an dem du dich wohl fühlst. Vielleicht bist du alleine oder umgeben von Wesen, die du magst und die dir wohlgesonnen sind. Die Vögel zwitschern, der Wind rauscht leise in den Pappeln, im Hintergrund plätschert ein Fluss. Du atmest ein und wie von alleine kommen Töne aus dir. Sie fügen sich ein in das Klangbild der Natur, sie gehören hier her, es gibt kein richtig und falsch, sie sollen genauso sein, wie sie sind.
Nimm dir auch hier einem Moment Zeit, um dich einzufühlen in diese Szene, stelle dir die Bäume vor, die Geräusche, die Gerüche, atme die Luft dieser Umgebung ein. Und dann in deinem Tempo fange an zu singen, zu tönen oder zu summen, gebe den Geräuschen – oder der Stille – Raum, die jetzt da sein wollen.
Und, ist etwas passiert?
Diese Übung soll dir zeigen, dass Singen nichts mit Können und „richtig machen“ zu tun hat. Solche Gedanken blockieren uns und hindern uns am Singen.
Seit meiner späten Kindheit ist das Singen aus meinem Alltag verschwunden. Ich habe zwar mit Unterbrechungen immer gesungen, im Chor und im Gesangsunterricht, aber das waren feste Formate, in denen ein klassisches Repertoire erarbeitet wurde. Das Singen als Ausdrucksform habe ich erst später wiederentdeckt. Insbesondere in Deutschland gilt singen als etwas, das man kann oder nicht (das jedenfalls ist meine Erfahrung). Diese Vorstellung scheint mir in zweierlei Hinsicht falsch: Erstens kann man beim Singen viel lernen, genauso wie beim Spielen eines Instruments. Viel wichtiger ist aber, dass man um zu singen gar nichts können muss. Singen ist nicht etwas, was man kann oder nicht, sondern etwas, was man tut oder nicht. Natürlich kann nicht jeder singen wie Anna Netrebko, Freddie Mercury oder Whitney Houston – schon alleine deswegen nicht, weil jede Stimme genauso einzigartig ist, wie der Mensch, dem sie gehört. Aber jede*r kann mit der eigenen Stimme auf eigene Weise dem eigenen inneren Erleben einen Ton verleihen. Und ja – das ist singen.
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